"Wir tanzen weiter"
Von Michael Anthony, Tel Aviv
25. Juni 2001 Die Jugendlichen in Israel zünden wieder Kerzen an - wie damals in Tel Aviv nach der Ermordung von Premierminister Rabin im November 1995. Diesmal nicht für den Frieden, sondern für ihre Freunde, Opfer des Terroranschlags vom 8. Juni an der Strandpromenade von Tel Aviv.
Seit dem Anschlag herrscht gespannte Ruhe in Tel Aviv. Die blutigen Auseinandersetzungen und Anschläge haben sich wieder in die besetzten Gebieten verlagert - jenseits der sogenannten "Grünen Linie", der Grenzen von 1967. Trotzdem vermeldet der Verkehrsfunk im israelischen Radio andauernd das gleiche: Straßensperrungen in den Städten innerhalb Israels wegen "eines verdächtigen Objekts". Täglich rufen mehrere Hundert Passanten bei der Polizei-Notruf an und melden ein verlorenes Handy, vergessene Einkaufstaschen oder liegengebliebene Pakete. Es könnte ja eine Bombe sein. Immerhin: drei schwere Anschläge wurden so letzte Woche vereitelt.
Lebensfreude ungetrübt
Die Lebensfreude lassen sich Israelis deshalb nicht nehmen: "Ich höre einfach keine Nachrichten mehr", sagt die 24jährige Dana Shenhav, "das deprimiert nur." Stattdessen überlegt sie, welche Diskothek am nächsten Freitagabend die beste Musik auflegen könnte.
Die Wahl fällt auf die "Stolz-Parade": Zehntausende schwule und lesbische Israelis zogen am vergangenen Freitag durch die Strassen von Tel Aviv und bejubelten auf der Abschlussparty ihre Ikone, die transsexuelle Eurovision-Preisträgerin Dana International. Statt Krieg dem Terror, künden die Sänger auf der Bühne der Krankheit AIDS den Kampf an.
Zwischen provokativen nackten Oberkörpern erinnern etwa Hundert ganz in schwarz gekleidete Homos an die düstere politische Stimmung. Sie kommen aus Tel Aviv und Ramallah, im Westjordanland. Das Schwul-Sein vereint sie mehr, als ihre nationale Identität sie auseinander treiben könnte. "In dieser politischen Situation haben wir nichts, worauf wir stolz sein können", sagt der Sprecher der Initiative Noam Holbengräber. Motto seiner Parade am Rande: "Kein Stolz als Besatzer".
Lästige patriotische Pflicht
Der Rest der frechen Szene sieht das auch so. Aber über Politik will trotzdem niemand reden. Schlimm genug, dass die Hundertschaften von Sicherheitsleuten die schrille Menge ständig an den erbarmungslosen Alltag erinnern: Jeder Israeli ist jedes Jahr widerwillig für vier Wochen Soldat - das verlangt der Reservedienst. Davor müssen Männer drei Jahre Grundausbildung absolvieren, für Frauen sind es zwei. Eine patriotische Pflicht, auf die sich immer weniger freuen - am wenigsten jene, die nach den Abiturprüfungen ihren Schwur leisten müssen.
Der 19-jährige Zoar Kosteluku setzte sich deshalb im Februar mit seinen Klassenkameraden zusammen und gründete die Initiative "Die Soldaten von Morgen". Sie wollten sich politisch Gehör verschaffen. "Immerhin stehen wir ja morgen an der Front", sagt Zoar.
Heute liegt die Arbeit brach: "Am Anfang hatten wir vor Scharon Angst, aber tatsächlich macht er das gleiche wie Barak: Er bekämpft den Terror. Das steht heute auf der Tagesordnung, verhandeln tun wir danach".
Vor der Diskothek "Pascha" an der Tel Aviver Strandpromenade haben Schulkameraden der 21 getöteten Teenager ein kleines Denkmal gebastelt. Ein Junge und ein Mädchen halten einander Hände. Die Überschrift in russischen und hebräischen Schriftzeichen lautet einfach: "Wir tanzen weiter."
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